Mit einem 5-Stunden-Tag zur erfolgreichen Arbeitgebermarke?

Rückblende sinnwerkenMEETUP vom 02.02.2021

Nur 25 Stunden in der Woche arbeiten und das volle Gehalt bekommen? Ganz klar, so ein Angebot ist ein Magnet für viele. Doch macht das betriebswirtschaftlich Sinn? Und trägt so ein Vorgehen wirklich zu einer attraktiven Arbeitgebermarke bei? Die Antworten darauf und wie sinnhafte Mitarbeiterführung in Corona-Zeiten geht, gab es bei unserem zweiten digitalen sinnwerkenMEETUP, an dem auch unsere zugeschalteten Gäste rege teilnahmen.

Dieses Mal war der Personalexperte Andreas Kahl bei Erich Erichsen zu Gast. Der Hamburger Steuerberater hat das Experiment mit der 25-Stunden-Woche bereits Ende 2019 gewagt – und inzwischen auf der ganzen Linie Erfolg damit. Im Folgenden geben wir das Interview mit ihm und die Antworten auf einige Fragen unserer Meetup-Besucher als inhaltliche Zusammenfassung wieder.

In das Thema „Mitarbeiterführung in Corona-Zeiten“ steigen im Anschluss daran Maria von Stein und Meike Siemen von Hebewerk Consulting ein. Den Abschluss bildet sinnwerkenMEETUP-Initiator Andreas Kahl von Kahl & Konsorten.

Fokusthema

25-Stunden-Woche

Steuerkanzlei Erich Erichsen

Erich, wann hast du für dich die Entscheidung getroffen, den Resetknopf zu drücken und neu zu starten?

Angefangen hat es, als meine Frau 2016 an Krebs erkrankte und ich sie drei Jahre lang aufopferungsvoll gepflegt habe. Da habe ich gemerkt, dass im Leben anderes wichtig ist als ein neuer Mandant oder der Verlust eines Mandats. Das hat meine Beziehung zur Arbeit nachhaltig verändert. Ich arbeite jetzt viel bewusster und stelle die Arbeit nicht mehr in den Vordergrund. Mir geht es darum, Arbeit als Teil des Lebens zu sehen und über die Gesamtheit zu definieren, wie glücklich man ist.

Und wann hast du dich zur 25-Stunden-Woche entschlossen?

Das war im August 2019, nachdem ich das Buch „Die 5-Stunden-Revolution“ von Lasse Rheingans als Hörbuch heruntergeladen und gehört hatte. Darin geht es darum, Arbeit neu zu denken und das hat mich sofort begeistert. Deshalb habe ich meine Mitarbeiter gefragt und sie haben alle Ja gesagt. Gemeinsam haben wir dann einen Leitfaden entwickelt und uns langsam rangetastet. Alles, was ich in der Zeit gelesen habe, habe ich auch meinen Mitarbeitern zur Verfügung gestellt. So waren wir alle in einem Boot.

Voller Lohnausgleich - wie geht das? Ist das nicht wirtschaftliches Harakiri?

Nein, wir arbeiten 5 Stunden ganz konsequent, also durchgehend und schaffen dadurch so viel wie sonst in 8 Stunden. Natürlich haben wir ganz viele Zeitfresser rausgenommen, die Sachen, mit den man sich normalerweise lange aufhält – wie zum Beispiel im Internet surfen, private Gespräche führen und weiteres. Einen großen Anteil hat auch die Digitalisierung, die uns viele Arbeitsgänge erleichtert. Sicher geht man trotzdem mal eine halbe Stunde später raus, weil man eine Sache zuende bringen will. Das ist jedoch die Ausnahme und nicht die Regel.

Wie hat sich deine Beziehung zu deinen Mitarbeitern verändert?

Positiv. Die Mitarbeiterbindung ist jetzt stärker, das Team hat mehr Entscheidungsfreiheit, jeder Einzelne fühlt sich mit dem Unternehmen verbunden. Und ich glaube, es würde auch keiner gehen, wenn er von einer großen Kanzlei in Hamburg 500 oder 600 Euro mehr Gehalt angeboten bekommen würde.

Die Vorteile einer 25-Stunden-Woche sind wirklich sehr groß. Meine Mitarbeiter haben mehr Freizeit, sie sind mittags zu Hause, die Mütter können das Essen fertig machen, Schularbeiten mit ihren Kindern machen, ihren Hobbys nachgehen und vieles mehr. Das ist auch wichtig, denn 5 Stunden extrem konzentriert und fokussiert zu arbeiten, strengt sehr an.

Erich, ich habe in einem Seminar, das ich vor zwei Wochen mit Unternehmern veranstaltet habe, eine kleine Rüge erhalten – weil ich Steve Jobs als Vorbild für einen Unternehmer hernahm, der Mitarbeiter durch sein visionäres Denken extrem begeistern konnte. Das Beispiel wäre zu abgehoben, sagte man mir. Meine Frage an dich: Kann man zu groß denken als kleiner Unternehmer?

Nein, das glaube ich nicht. Wenn ich nicht groß denke, kann ich nichts Großes erreichen. Elon Musk ist ein gutes Beispiel dafür (Anm. der Redaktion: einer der visionärsten Unternehmer der Welt, Gründer u. a. von Paypal und SpaceX sowie Mitbegründer und CEO von Tesla Motors). Ich brauche visionäre Gedanken, um etwa zu erreichen.

Wie ist die Reaktion von Kollegen? Gibt es da auch Anfeindungen?

Ja, das ist tatsächlich zweigeteilt. Es gibt viele Menschen, die mir Respekt zollen. Ich werde jedoch auch angefeindet und erhalte viele negative Bemerkungen, weil sich viele nicht vorstellen können, dass das funktioniert.

Wie misst du die Produktivität? Trackst du einzelne Mitarbeiter?

Ich messe das Ergebnis anhand des Umsatzes und daran, wie viele Neumandate wir haben. Daran erkenne ich, dass wir in 5 Stunden Arbeitszeit genauso gut sind wie vorher in 8 Stunden, zum Teil sogar noch besser.

Zum Tracking: Nein, ich bin kein Freund von Tracking einzelner Mitarbeiter. Bei uns wird viel mit Vertrauensarbeitszeit gearbeitet und wenn das Ergebnis und der Output stimmen, dann ist das für mich in Ordnung – und die Mitarbeiter haben keinen Druck.

Am Anfang gab es da Ängste bei meinen Mitarbeitern. Dahingehend, dass sie befürchteten, ihre Arbeit in 5 Stunden nicht zu schaffen. Doch das hat sich im Wochentakt reduziert, weil alle gemerkt haben, dass alles doch gut klappt. Inzwischen sind meine Mitarbeiter da entspannt und haben keine Angst mehr.

Hat sich das Betriebsklima verändert?

Mir wird oft von Dritten vorgeworfen, dass ich mit dem 5-Stunden-Tag den wichtigen Bereich der Zwischenmenschlichkeit außer Acht lasse und keine sozialen Gespräche mehr möglich wären. Das stimmt so aber nicht. Klar, es gibt keine Teeküchengespräche mehr und auch keine längeren Gespräche. Wir machen jeden Morgen ein 15-minütiges Stand-Up-Meeting, indem wir uns darüber auf den aktuellen Stand bringen, was an diesem Tag so alles ansteht. Einmal in der Woche findet eine gemeinsame Mittagszeit statt, bei der gemeinsam gekocht wird. Die Teilnahme ist freiwillig. Da holen wir qualitativ viel hochwertigere Gespräche raus als früher.

Kann ich die 25-Stunden-Woche auch auf andere Branchen übertragen?

In Pflege und Medizin beispielsweise ist das eher schwierig, generell in allen Bereichen, in denen die Anwesenheitszeit eine große Rolle spielt. Aber es gibt viele Dienstleistungsbereiche, in denen man gut skalieren kann (Anm. der Redaktion: z. B. in Werbeagenturen, Webagenturen, IT-Unternehmen).

Erich, was dürfen wir von dir in Zukunft noch erwarten?

Wir werden in jedem Fall unsere Studioarbeit ausbauen. Ich möchte in diesem Studio Diskussionsbeiträge machen und eine Talkrunde durchführen mit Leuten rund um die Steuerberaterbranche und angrenzende Bereiche. Sie wird „Erich talkt“ heißen und im guten alten ZDF-Abendstil durchgeführt werden. Da werden wir uns dann über das Steuerrecht, aber auch über besondere Personen unterhalten. Über die vielen Steuerberater mit tollen Storys wie zum Beispiel eine besondere Herangehensweise in ihrem Job. Das wollen wir ausbauen und auch bei YouTube einen separaten Kanal eröffnen. Wir möchten damit in der Steuerberaterbranche neue Impulse setzen.

Lieber Erich, herzlichen Dank für das Gespräch!

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