Auf die Einstellung kommt es an

Interview mit Nadja Petranovskaja

Keine Frage, Tools rund um die Zusammenarbeit gehören heute zu unserem Unternehmensalltag dazu. Doch welches Tool macht wirklich Sinn und vor allem wie, wann und warum?

Wir haben dazu die selbstständige Unternehmerin und Moderatorin Nadja Petranovskaja befragt, deren Arbeit sich um das Thema Tools dreht.

Vita und Vision der Unternehmerin und Moderatorin

Liebe Nadja, bevor wir inhaltlich in das Thema einsteigen, gib uns doch bitte einen kurzen Einblick in dein spannendes Leben im Kontext deiner Arbeit.

Ich wollte schon mit 14, 15 Jahren Psychologin werden und in Deutschland studieren. In einer Zeit, in der es noch den Eisernen Vorhang in der Sowjetunion gab und alle gesagt haben: Das geht nicht. Ich habe jedoch immer daran geglaubt und so eröffnete sich mir schließlich ein Weg und ich habe tatsächlich in Hamburg Psychologie studiert. Die Zeit danach war bewegend, ich arbeitete in mehreren namhaften Unternehmen, erst in Moskau, dann wieder in Deutschland und habe viele technische Bereiche abgedeckt. Das hatte alles nichts mit Psychologie zu tun, aber ich hatte mit Menschen zu tun. Und Menschen sind etwas Wunderbares.

Was ist für dich an Menschen so wunderbar?

Ich habe einen unsterblichen Glauben an unsere Fähigkeiten. Ich glaube, dass wir so viel mehr können als E-Mails am Computer zu lesen und zu beantworten. Denn so wie 80 % des Meeres unerforscht sind, sind meiner Meinung nach auch 80 % des Menschen unerforscht.

Dieser unsterblich große Glaube an unsere Fähigkeiten ist auch eine der Antworten auf die Fragen, was mir wichtig ist im Leben, was mich ausmacht. Wobei mir wichtig ist, dass unser Potenzial nicht ausgenutzt wird. Es sollte uns vielmehr Freude machen, unser Potenzial zu spüren, zu leben, im Miteinander anzuwenden und daraus etwas entstehen zu lassen.

Auf deiner Internetseite hast du einen Satz stehen, was du mit deiner Arbeit erreichen möchtest. Vielleicht sagst du kurz was dazu?

Gern. Ich sorge dafür, dass Menschen montags gern zur Arbeit kommen. Das ist absichtlich ketzerisch formuliert, weil ich es sehr seltsam fand, als ich nach Deutschland kam, dass Menschen sich auf den Freitag freuen. Es ist und bleibt mir ein Rätsel, wie man sich 5 Tage in der Woche irgendwohin quält, um dann am Wochenende auf dem Sofa zu liegen und zu sagen: „Boah, war das anstrengend.“

Was ich erreichen möchte, ist, dass wir hier einen Switch hinkriegen. Egal, wie wir es nennen, ob es Teil der Digitalisierung oder der Transformation, New Work oder Change ist – wir kommen nicht dran vorbei, menschlicher zu arbeiten. Ich glaube, dass es wichtig ist, statt mechanistisch zu denken à la „ich gehe da hin, um Geld zu machen und damit Menschen zu beeindrucken“ wieder zu uns zurückzukommen, uns auf alles zu freuen.

Warum? Weil es gut und schnell geht, wenn ich mich auf etwas freue. Dazu kann ich mit meiner Freude viele Menschen anstecken, so dass die sich auch auf etwas freuen. Dadurch verändert sich mein Umfeld - und es macht doppelt Freude, zu etwas zu gehen, was wir heute immer noch Arbeit nennen.

 

Tools für Zusammenarbeit

Die berühmte Kochshow-Frage: Nadja, was machen wir heute?

Wir machen etwas zusammen und beleuchten die Frage „Was ist ein sinnvolles Tool für Zusammenarbeit?“

Das Resultat: (zusammengefasst mit Menti, einer cloudbasierten Software, die mit dem Mentimeter ein Abstimmungstool bereitstellt.)

Wie wir an den gemeinsam erarbeiteten Ergebnissen sehen können, haben wir hier keine Tools im Sinne von Werkzeugen zusammengetragen, die mechanisch oder in der Welt der Software herumgeistern. Einige dieser Software-Tools sind jedoch wichtig und zielführend – und zwar immer dann, wenn wir mit ihnen spielerisch umgehen können. Dazu gehören zum Beispiel Zeichen und Emoticons in Feedback- und Wertschätzungs-Tools. Denn wenn wir spielen, sind wir nicht mehr so stark im operationalen Verhalten. Wir können menschlich miteinander sein, nachdenken, reflektieren, handeln und einem anderen zeigen, dass er gesehen wird.

Ohne diese Tools komme ich heute gar nicht mehr auf das Level eines gemeinsamen Verständnisses. Die Welt ist so komplex geworden.

Welche großen Herausforderungen siehst du aktuell in der Zusammenarbeit in Unternehmen?

Viele von uns arbeiten ja seit einem Jahr anders als früher (Corona). Was uns da vor allem fehlt ist die normale menschliche Verbindung, die sich nur schwer herstellen lässt.

Nehmen wir dazu einmal exemplarisch das Tool Online-Meetings. Ich schaue als Redner in die Kamera, damit alle anderen (hoffentlich) das Gefühl haben, ich schaue sie gerade an. Das ist aber in Wirklichkeit gar nicht so. Ich schaue ja über die Personen hinaus in die Kamera und bekomme ihre Reaktionen nicht unmittelbar mit. Wenn ich stattdessen auf die anderen Personen im Meeting schaue, um ihre Reaktionen mitzubekommen, dann schaue ich aus der Sicht meiner Zuschauer und -hörer nach unten oder zur Seite.

Das ist mit ein Grund, warum die Arbeit heute anders gesehen wird. Sie wird als anstrengender empfunden, obwohl wir ja nach wie vor miteinander sprechen und uns gut zuhören. Und auch wollen, dass etwas Gutes dabei entsteht. Aber allein das Fehlen dieser normalen menschlichen Verbindungen ist eine große Herausforderung.

Manchmal wird die Verbindung sogar intensiver, wenn wir die Videoverbindung kappen und nur telefonieren. So konzentrieren wir uns auf die Stimme, gehen vielleicht auch noch raus und bewegen uns.

Um noch einen draufzulegen, spreche ich die heutige Komplexität an. Dinge sind nicht mehr so simpel, dass ich sie in Scheibchen schneiden kann und beispielsweise eine Scheibe pro Woche verarbeite. Es ist vielmehr alles mit allem verwoben. Früher konnten wir z. B. Recruitmentprozesse noch ganz einfach planen: Wir schalten eine Stellenanzeige in der Zeitung, es bewerben sich Leute, fertig und aus. Heute spielen viele verschiedene Dinge eine Rolle zwischen der Frage, wen und was brauchen wir und dem Zeitpunkt, an dem die ersten Bewerbungen hereinkommen. Jedes Projekt ist anders, jeder Kunde ist anders, also sind auch die Anforderungen an den Kandidaten anders.

Dazu haben wir die Leute früher wegen ihrer Fähigkeiten (Skills) eingestellt und sie mussten sich an das Unternehmen und die Arbeit anpassen. Heute stellt man die Leute vielmehr wegen ihrer Attitüde, ihrer Haltung ein. Dem Sinn, den sie ihrer Arbeit zumessen. Was möchten Sie erreichen? Was möchten Sie in 5 Jahren bewirken. Was ist Ihnen wichtig? Das sind die Fragen, die heute gestellt werden. Warum? Weil viele Arbeitgeber wissen, dass sich viele Skills immer wieder verbrauchen und das relativ schnell. Die Haltung dagegen können wir nicht einfach mit einem Schraubenzieher verändern. Die bringen wir alle mit.

Können Tools einen Beitrag leisten, die Zusammenarbeit zu verbessern und die Mitarbeiterbindung zu erhöhen?

Ja.

 

Effektiver Einsatz von Tools

Du hast als Thema für dich heute den Satz kreiert „Auf die Einstellung kommt es an.“ Was meinst du damit?

Zweierlei. Zum einen bin ich der Meinung „a fool with a tool is still a fool“. Das heißt: Ein Tool, egal, wie toll es ist, hilft mir nicht, wenn ich nicht weiß, wie ich es anwenden kann. Sprich: Wenn wir den Hammer nicht richtig einsetzen, können wir uns wunderbar auf die Finger hauen. Und das ist nur ein einfaches Tool.

Wenn wir komplexe Tools nicht richtig anwenden können, geben sie uns nicht die richtigen Antworten. Ein Beispiel: Vor Corona nutzten wir einen Computer in Bezug auf Kommunikation häufig nur als Schreibmaschine. Wir haben ihn hochgefahren, unser E-Mail-Programm geöffnet und die E-Mails beantwortet. Das ist schade, weil ein Computer viel mehr kann. Ich kann meine E-Mails beispielsweise auch bei einem Spaziergang einfach aufsprechen und muss somit nicht vor dem Gerät sitzen und mich als Schreibkraft betätigen.

Wir könnten Tools, die uns zur Verfügung stehen, also viel smarter einsetzen. Dafür müssen wir den Tools jedoch folgen.

Zum anderen stellt sich die Frage: Haben wir die Tools oder haben die Tools uns? Selbst bei so etwas wie Stäbchen, mit denen ich beim Japaner Sushi esse, müssen wir ja erst einmal lernen, diese richtig zu halten, bevor wir sie nutzen können. Sehr viele Tools fordern von uns, dass wir sie richtig nutzen. Das Tool sagt mir, was ich tun muss, damit es mir hilft. Und eigentlich sollte das ja anders herum sein.

Auch das Tool Webcam hat mich. Ich setze mich frontal zum Computer, damit ich direkt in die Kamera gucke. Aber eigentlich sollte ich mich einfach hinsetzen können wie ich möchte, auch seitlich. Doch die Kamera verlangt eine bestimmte Position von mir. So ist es auch mit anderen Tools, die bestimmen „drücke hier“, „mache das dort“ etc. All diese Dinge machen wir zum Teil sehr unbewusst, weil das Tool uns verspricht, schneller, smarter oder schöner zu werden. Ab und an sollten wir jedoch anhalten und schauen: Wer führt jetzt wen? Nutze ich das Tool oder nutzt das Tool gerade mich?

Wie sieht du den Einsatz von Tools, wenn es darum geht, die Mitarbeiterbindung zu erhöhen und die Zusammenarbeit zu verbessern?

Neue Tools wecken einerseits die Neugierde der Mitarbeiter, trainieren das Lernen und liefern uns ggf. Mehrwert. Also eben nicht „einmal Excel, immer Excel“, sondern: Wofür nutze ich das, was ich nutze, eigentlich?

Bei der Komplexität, in und mit der wir unterwegs sind, sollten die Tools, die uns helfen sollen, jedoch mit Bedacht gewählt werden. Sie sollten beispielsweise nicht auf einen Keyuser angewiesen sein, damit sich die anderen nicht verloren fühlen. Es sollten keine Tools sein, die abgrenzen und differenzieren zwischen „das ist das Tool für Sales, das ist das Tool für Marketing“ etc. Es sollten vielmehr Tools sein, die verbinden, eine gemeinsame Sprache sprechen und zum Mitmachen anregen. Tools, mit den wir uns gemeinsam wohlfühlen, die Transparenz und Vertrauen schaffen. Tools, bei denen ich weiß, was mit meinen Daten passiert.

Ich denke, wir sind in einer Zeit angekommen, in der es wirklich auf die Zusammenarbeit ankommt. Inzwischen gibt es schon viele Open-Source-Tools und Download-Angebote, mit denen man sich gemeinsam schlau machen oder entwickeln kann. Hinzu kommen die White Labels. Das sind Tools, die ich nutzen und an meine individuellen unternehmerischen Anforderungen anpassen kann. Jedoch nur so viele wie nötig, damit es keinen Overload gibt. Und dann haben wir vielleicht alle (wieder) Spaß, montags zur Arbeit zu kommen.

Du macht Wondercards. Inwieweit können diese analogen Tools helfen?

Ich habe die Wondercards ursprünglich für mich gemacht, weil mir so etwas gefehlt hat. Weil ich gern die Komplexität in meinem eigenen Arbeitsumfeld reduziere. Ich habe zum Beispiel sehr viele Bücher zu bestimmten Themen. Wenn ich die gelesen habe und später noch wissen möchte, was drinsteht, dann nutze ich als Tool eine App namens Goodreads - die weltweit größte Seite für Leser und Bücherempfehlungen. Hier kann ich Rezensionen einsehen und selber Notizen machen und immer wieder nachschauen, was habe ich zu welchem Thema schon gelesen, was stand da drin.

So habe ich auch die Wondercards entwickelt. Eine kleine Dose mit Methodenkarten, die ich immer mit zu meinen Kunden nehme. Ohne dicke Bücher schleppen und Gefahr laufen zu müssen, nicht das richtige Buch für den entsprechenden Workshop dabei zu haben. Irgendwann habe ich dann festgestellt: Es ist eine Art Stärke von mir, eine große Menge an Stoff auf eine kleine Menge an Papier zu bringen.

Das Zweite, was ich mit einer Kollegin entwickelt habe, ist eine handliche New-Work-Toolbox mit Anleitung, Landkarten und einer Art Spielkarten wie man die Zukunft der Arbeit für sich in seinem Unternehmen denken kann. Auch hier ging es mir darum, das riesige Bubble-Thema New Work verständlich und leicht handhabbar zu machen. Solche Dinge machen für mich die Arbeit human, weil sie mit Verspieltheit, Freude und Haptik zu tun hat. Es geht um be-greifen.

 

Positive Effekte durch Tools

Magst Du uns ein ganz konkretes Beispiel schildern, wie ein Unternehmen durch den Einsatz von Tools positive Effekte erzielen kann?

Total gerne. Ich nutze im Zusammenhang mit dem Thema Moderation gern das Wort Hebamme. Denn es ist ja nicht mein Baby, sondern das Baby des Unternehmens oder Teams, das da geboren wird. Ein Tool ist deshalb für mich in erster Linie der Mensch. Ich komme ja in der Regel fremd in ein Unternehmen und kenne die Menschen dort nicht. Wir lernen uns also erst im Laufe der Arbeit kennen und sie sich untereinander im Laufe der Zeit auch noch besser.

Neulich hatte ich eine Gruppe, in der wir Funtags geteilt haben. Dabei kam heraus, dass es jemandem im Team gab, der noch nie Eis gegessen hat. Das hat alle beschäftigt und bewegt. Man arbeitet schon so lange zusammen, aber so einfache Dinge weiß man nicht.

Natürlich geht es nicht darum, nur zusammenzusitzen und über Gott und die Welt zu reden. Deshalb sind mir Strukturen wichtig. Strukturen, die uns helfen, dass alles, was da ist, gemeinsam gesehen und auf das reduziert werden kann, was es wirklich wert ist, besprochen zu werden.

Nehmen wir als Beispiel einmal Corona. Hier können wir uns fragen: Haben wir da Einfluss darauf? Ja, in gewissem Maß schon. Wir können jedoch nicht frei entscheiden, wie unsere nächsten drei Arbeitsmonate mit Corona verlaufen werden. Da haben wir uns an Regeln zu halten. Also schieben wir dieses Thema wie das Wetter in den Schlitz „wenig bis keinen Einfluss“ und kümmern uns um das, was Sinn macht. Auf diese Themen können wir unsere Energie verwenden und fokussierter arbeiten, statt unproduktiv darüber zu diskutieren, was alles nicht passt.

Zur Visualisierung nutze ich bei der Moderation gern Kreise, Quadrate und Dreiecke, eigentlich alles, was dabei hilft, die Komplexität zu reduzieren - und übersichtlich auf einem Blatt Papier festzuhalten, wo es sich lohnt, sich damit zu beschäftigen.

Was würdest du Führungskräften an Tools wünschen für eine positive Zusammenarbeit im Sinne von Arbeitgeberattraktivität?

Ich würde ihnen wünschen, dass sie mit mehr Herz und mehr Menschlichkeit, Energie, Liebe, Anerkennung, Wertschätzung etc. an die Arbeit gehen. Und nicht müssen, sondern wollen. Weil das Müssen einen Keil zwischen dem Teil in unserem Gehirn treibt, der Ziele und Wünsche hat und dem Teil, der uns sagt, wie wir dahinkommen. Der Verbindungsaufbau erfolgt in diesem Fall wie mit einem uralten quietschenden Modem.

Wenn wir allerdings „über Null“, also im positiven Bereich sind, in der gehobenen Gestimmtheit, dann kriegen wir eine Verbindung in Glasfasergeschwindigkeit hin und können uns glasklar Fragen beantworten: Wie komme ich zu Freude an der Arbeit? Wie nehme ich Mitarbeiter mit? Wie sorge ich dafür, dass unser Unternehmen floriert und ein gutes Ansehen hat? Denn dafür trete ich als Führungskraft ja an.

Es gibt dazu eine ganz einfache Übung von Vera Birkenbihl, die daraus besteht, 60 Sekunden lang durchgehend den Mund zu einem breiten Lächeln hochzuziehen. Der Körper reagiert darauf so als hätte ich gerade ein reales Glücksgefühl und ich kann meine Stimmung positiv verändern, indem ich einfach schon mal so tue als ob. Das sind die einfachen Dinge, die möglich sind und die jeder für sich immer wieder machen kann.

Das beste Tool sind wir also selbst. Wir nutzen es nur zu selten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieses Interview ist eine Zusammenfassung.